Arbeitnehmer und Arbeitgeber sehen sich in Nordamerika nach dem mutmaßlichen Ende der Corona-Pandemie einer neuen Normalität gegenüber. Allen voran deutsche Arbeitgeber genießen bei Arbeitnehmern ein hohes Ansehen und haben viele Möglichkeiten, produktive Arbeitsplätze zu schaffen und somit die Rentabilität des Unternehmens zu verbessern.
US-Präsident Joe Biden hat Ende September de facto das Ende der Corona-Pandemie verkündet. Das hat auch Auswirkungen auf die Wirtschaft. Es zeichnen sich jetzt die Umrisse eines neuen amerikanischen Arbeitsmarktes ab: Nach der teilweise durch großzügige Zahlungen an Arbeitnehmer verursachten Great-Resignation-Welle wird vielen Arbeitnehmern bewusst, dass es nicht jeder neue Job erlaubt, die persönlichen Interessen voll auszuleben und ausschließlich von Zuhause aus zu arbeiten. Auch ein Arbeitsplatzwechsel bedeutet nicht automatisch, dass Versprechungen erfüllt werden. Dieser Bewusstseinswandel hat auch schon einen medienwirksamen Slogan erhalten: „The Great Regret“.
Die negative Entwicklung der Börsenkurse und das Abbröckeln der Immobilienbewertungen hat dazu geführt, dass sich Amerikaner plötzlich wesentlich weniger wohlhabend fühlen. Obwohl die Arbeitsmarktdaten immer noch gut aussehen, haben viele amerikanische Arbeitnehmer nun das Gefühl, dass die fetten Jahre vorbei sind. Der Markt ist in einer Umbruchphase, und für Beschäftigte dürfte es sich so anfühlen wie beim Spiel „Die Reise nach Jerusalem“ – bald hört die Musik auf zu spielen.
Aber die Verwerfungen der vergangenen zwei Jahre haben definitiv zu einer neuen Realität geführt – „The New Normal“. Manche Änderungen sind nur weitere Manifestationen von lang bekannten Trends: das Ausscheiden der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt oder das steigende Desinteresse jüngerer Arbeitnehmer, im produzierenden Gewerbe tätig zu sein. Bei vielen Trends hat Corona nur als ein Brandbeschleuniger gewirkt.
Die Pandemie hat für das Gros der Angestellten und Führungskräfte neue, permanente Realitäten geschaffen. Hybride Arbeitsmodelle, der Ersatz von persönlichen Meetings durch Zoom- oder Teams-Konferenzen, die verringerte Bereitschaft für einen neuen Job umzuziehen und die rapide Digitalisierung aller Geschäftsprozesse sind unumkehrbare Trends. Mit dem rapiden Wegfall der Corona-Einschränkungen ist jetzt für deutsche Muttergesellschaften die Zeit gekommen, Bestandsaufnahmen durchzuführen und festzulegen, inwieweit Änderungen im Verhältnis der amerikanischen Niederlassungen zu deren Mitarbeitern notwendig sind.
Deutsche Arbeitgeber in USA beliebt
Das Ansehen deutscher Arbeitgeber in den USA hat zugenommen. Die Loyalität zum Arbeitnehmer, die Bereitschaft Mitarbeiter zu schulen und das oft langfristige Denken deutscher Unternehmer wurde von vielen amerikanischen Arbeitnehmern erkannt. Dies steht im Kontrast zu manchen amerikanischen Unternehmen, die die Angestelltenzahl bei den ersten erkennbaren Anzeichen der Krise radikal reduzierten. Bekannt sind v.a. auch Berichte von Unternehmen, die zuerst staatliche Zuschüsse einsammelten und dann die Belegschaft abbauten. Deutsche Unternehmen sollten ihr vorbildliches Verhalten im Rahmen ihres Personalmarketings besser publik machen.
Stark ansteigende Lohnforderungen
Einige permanente Trends beeinflussen alle Aspekte einer Niederlassung und sollten zur Chefsache gemacht werden. Zuerst zu nennen sind die schnell ansteigenden Lohnforderungen der Arbeitnehmer. Seit Mitte 2021 berichten Unternehmen in den USA von einem starken Anstieg der Lohnkosten. Der Trend war ursprünglich in der verarbeitenden Industrie zu beobachten – den Forderungen von Arbeitnehmern auf teilweise eklatante Erhöhungen der Stundensätze mussten Unternehmen aufgrund mangelnder Alternativen oft stattgeben. Ein Anstieg von 15 auf 25 USD pro Stunde war nicht ungewöhnlich. Große Firmen wie Fedex, UPS oder Amazon waren hier oft die Vorreiter, eingesessene Unternehmen mussten nachziehen.
Der Trend, der bei auf Stundenbasis vergüteten Arbeitnehmern erkennbar wurde, spiegelte sich auch bei angestellten Gehaltsempfängern wider. Um neue Mitarbeiter zu gewinnen, mussten wesentlich höhere Einstiegsgehälter angeboten werden, und um den Abstand zu den Neueinsteigern zu erhalten, kam es zu einem Dominoeffekt, da die Saläre von langfristigen Mitarbeitern entsprechend nachgebessert werden mussten.
Mit etwas Verzögerung, aber dann mit massiver Wirkung, stiegen auch die Anforderungen der Führungskräfte rapide an – 30% höhere Basissaläre und die beschleunigte Ausbezahlung von variablen Vergütungselementen wurden Standardforderungen bei Gehaltsverhandlungen. Gegenwärtig zu beobachten ist auch eine verstärkte Anfrage nach Unternehmensbeteiligungen der Long Term Incentives. Die Nebenleistungen, sog. Perks oder Benefits, sind zunehmend wichtig, um Mitarbeiter zu rekrutieren und Fluktuationen zu verringern. In Deutschland vom Gesetzgeber genau definierte Nebenleistungen sind in den USA meistens Verhandlungsgegenstand zwischen Arbeitgeber und der Belegschaft oder individuellen Arbeitnehmern. Überraschend für deutsche Manager ist es oft, dass Krankenversicherung, Altersvorsorge sowie Urlaubs- und Krankentage Verhandlungssache sind.
Die Wichtigkeit „to get it right“ ist enorm: Umfragen bestätigen immer wieder, dass v.a. die Krankenversicherung und Altersvorsorge Arbeitnehmern enorm wichtig sind. Die Bedeutung dieser freiwilligen, aber de facto notwendigen Leistungen des Arbeitgebers geht durch alle Ebenen – selbst Unternehmen mit einem hohen Anteil ungelernter Arbeitnehmer wie Starbucks oder McDonalds bieten solide Nebenleistungen an – für viele Arbeitnehmer ist die Krankenversicherung ein Wechselgrund.
Das amerikanische System ist ausgesprochen flexibel: Anwartzeiten, die Höhe des Arbeitnehmerbeitrags und die Möglichkeit, auch Familienmitglieder in die Policy aufzunehmen, bieten einer Betriebsstätte viele Optionen, sich von anderen Unternehmen abzuheben. Deutschen Unternehmern ist oft unbekannt, dass durch den Wechsel des Arbeitgebers der Versicherungsträger wechselt – und oft sind die einem vertrauten Ärzte nicht im Netzwerk der neuen Versicherung. An dieser Stelle gibt es für deutsche Arbeitgeber ebenfalls gute Möglichkeiten, sich hervorzuheben, der Gesetzgeber bietet auch hier viel Gestaltungsspielraum an.
Fast gleichwichtig für den amerikanischen Arbeitnehmer ist die Altersvorsorge. Von besonderer Bedeutung sind die sog. 401(k)-Pläne. Während das Grundprinzip
einfach ist, haben Unternehmen enormen Gestaltungsspielraum. Die Kernelemente beinhalten die Variante, dass Arbeitnehmer Teile des Bruttogehalts in verschiedene Anlagemöglichkeiten investieren können und der Arbeitgeber einen Anteil beisteuert. Hier gibt es enorme Möglichkeiten, Arbeitnehmer langfristig zu binden – v.a., wenn Elemente einer Gewinnbeteiligung integriert werden.
Die Kosten der Nebenleistungen und deren Verwaltung ist v.a. für kleinere Unternehmen aufwendig. Es bestehen aber viele Varianten, den Kostenrahmen in einem verträglichen Ausmaß zu halten. Spezialisierte Anbieter, die die Belegschaften mehrerer Firmen kombinieren, haben aufgrund ihrer Verhandlungsmacht das Potenzial, gute Konditionen mit Finanzinstitutionen und Versicherungsanbietern zu verhandeln und diese dann an ihre Kunden weiterzugeben. Kleinere Unternehmen, wie auch die Niederlassungen deutscher Mittelständler, haben somit die Gelegenheit, Leistungen anzubieten, die der oft größeren Konkurrenz ebenbürtig sind.
Hochproduktive US-Arbeitnehmer
Nordamerika ist als Absatzmarkt und Produktionsstandort v.a. im Blick auf die politischen Entwicklungen in Osteuropa und China sowie den schwierig zu kalkulierenden Produktions- und Energiekosten noch wichtiger geworden. Amerikanische Arbeitnehmer sind hochproduktiv; die hohen Lohnsteigerungen relativieren sich, wenn man berücksichtigt, dass die Margen über den in Europa erzielbaren Deckungsbeiträgen liegen und dass über Dekaden das Einkommensniveau in den USA stagnierte oder inflationsbedingt sogar rückläufig war. Deutsche Arbeitgeber können mit einer Kombination von deutschen Tugenden und einer klugen Berücksichtigung der besonderen Aspekte des US-Arbeitsmarktes das hohe Gewinnpotenzial abschöpfen.
Tilman Bender
TH BENDER & PARTNERS INC
Washington, DC
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